VON NEUEN STERNEN, Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten
Die Alte Pinakothek widmet Adam Elsheimers grandiosem Meisterwerk
»Flucht nach Ägypten« eine Ausstellung, die vornehmlich zwei zentrale
Aspekte zur Anschauung bringen möchte: Zum einen soll der weit
reichende Einfluss gezeigt werden, den das kleine Kupferbild
unmittelbar nach seiner Schöpfung auf Zeitgenossen und spätere
Nachfolger ausübte, zum anderen den Beziehungen des Malers zu den
Vertretern der aufblühenden, empirischen Naturwissenschaften im Rom der
Jahre kurz um 1600 nachgespürt werden.
Neben Elsheimers zentralem Werk zeigt die Ausstellung Gemälde und
Graphiken aus internationalem Besitz, die den großen Einfluss des
Frankfurter Malers auf Rembrandt, Rubens und weitere Künstlerkollegen
dokumentieren.
Der zweite Teil der Ausstellung ist Elsheimers offensichtlichem
Interesse an der Astronomie gewidmet. Mit der Fachabteilung des
Deutschen Museums konnte hierzu eine eindrucksvolle Dokumentation
erarbeitet werden.

Adam Elsheimer: Die Flucht nach Ägypten, 1609
„[…] ein Werk, das in allen Theilen zugleich und in einem jeden
besonderlich ganz unvergleichlich ist […]“ – mit diesen Worten höchsten
Lobes beschrieb der Maler und Kunsthistoriker Joachim von Sandrart 1675
Elsheimers Meisterwerk, das nicht nur ein besonderer Schatz der Alten
Pinakothek, sondern auch ein Kleinod der europäischen Malerei des
frühen Barock ist. Im Jahr 1609 hatte der in Rom lebende Elsheimer auf
einer kleinen Kupfertafel das altbekannte biblische Thema der nach
Ägypten flüchtenden Heiligen Familie in ganz neuartiger und unmittelbar
Aufsehen erregender Weise ausgeführt. Nicht nur versetzte er erstmals
die Bilderzählung in die vom Bibeltext vorgegebene Nachtzeit, sondern
spannte zudem über der Fluchtgruppe ein atemberaubendes Himmelszelt
auf, wie es weder vor noch nach ihm je ein Maler vermochte. Das kühle
Licht des vollen, von Schleierwolken gerahmten und sich im Gewässer
spiegelnd verdoppelnden Mondes sowie die zahlreichen blinkenden Sterne
zeugen von einer neuen Naturwahrnehmung. In dieser gelang es Adam
Elsheimer als erstem Maler die Milchstraße naturgetreu als aus
unzähligen Sternen bestehend darzustellen und dabei genaue Beobachtung
und stimmungsvolle Idealisierung zu verbinden...
Nicht nur Joachim von Sandrart, sondern zahlreiche weitere
Malerkollegen zeigten sich tief von Elsheimers, seit 1613 durch einen
kongenialen Nachstich des Holländers Hendrick Goudt verbreiteter Flucht
nach Ägypten beeindruckt. In der Ausstellung ist eine erlesene Auswahl
von Gemälden und Graphiken zu sehen, die den Einfluss von Elsheimers
Bildfindung erkennen lassen. Dazu gehören neben Werken, die dem
verehrten Vorbild eng verpflichtet bleiben, auch Adaptionen großer
Maler, die es vermochten, auf Grundlage des Vorbildes zu eigenständigen
und ihrerseits meisterlichen Bildlösungen zu gelangen. Unter diesen
ragen die »Flucht nach Ägypten« des Peter Paul Rubens von 1614 (Kassel,
Gemäldegalerie Alte Meister) sowie Rembrandts »Ruhe auf der Flucht« von
1646 (Dublin, National Gallery of Ireland) heraus. Die Intensität der
Auseinandersetzung dieser beiden Hauptmeister des niederländischen
Barock mit Elsheimers Nachtstück kann zudem anhand zahlreicher
druckgraphischer Blätter studiert werden. Ein besonderes Glanzstück der
Ausstellung wird ein weiteres Werk des eng mit Elsheimer befreundeten
Peter Paul Rubens sein: Das Museo del Prado in Madrid gewährt die
großformatige Darstellung der »Entstehung der Milchstraße«,
ursprünglich einst Bestandteil der Dekoration des königlichen
Jagdschlosses Torre de la Parada, als Leihgabe. Damit wird Elsheimers
akribisch-kleinteiliger Naturbeobachtung im monumental-hochbarocken
Werk des Flamen die alte Tradition der mythologischen Erklärung der
Entstehung der Milchstraße gegenübergestellt. In dieser nährte sich
Herkules als Knabe gierig an der Brust der Göttermutter Juno mit der
Unsterblichkeit verleihenden Milch, die er verspritzte und so das
schimmernde Himmelsband verursachte.
Naturwissenschaftliche Beobachtungen in der Zeit Adam Elsheimers
Dem großen Interesse Elsheimers an der Beobachtung der Naturphänomene
ist der zweite Teil der Ausstellung gewidmet: In enger Zusammenarbeit
mit den Kollegen der Abteilung Astronomie des Deutschen Museums wurde
die stets häufig diskutierte Frage aufgegriffen, inwieweit Elsheimer
mit den die damalige Weltanschauung umwälzenden Erkenntnissen der
frühen Naturwissenschaftler und Astronomen – vor allem Galileo Galileis
und der Mitglieder der römischen »Academia dei Lincei« (»Akademie der
[scharfsichtigen] Luchse«) – vertraut war. Die zentralen Fragen mussten
dabei lauten: Hat sich Elsheimer am tatsächlichen Sternenhimmel über
Rom im Jahr 1609 bei der Gestaltung seines gemalten Himmels orientiert?
Und: Hat Elsheimer durch eines der soeben erst in Holland erfundenen
und bald darauf in ganz Europa Furore machenden Teleskope geschaut, ehe
er sein Firmament malte? Die Ergebnisse sind eindeutig: Sowohl die
Strukturen des Mondes als auch die Darstellung der in zahllose
Einzelsterne aufgelösten Milchstraße belegen, dass dem Maler eines der
neuen Fernrohre zur Verfügung gestanden haben muss! In der Ausstellung
werden erläuternde Schautafeln helfen, den bestirnten Nachthimmel
Elsheimers zu lesen; ein Nachbau des galileischen Fernrohrs sowie
kostbare astronomische Instrumente der Zeit vervollständigen diesen
Teil der Präsentation.
So sind Ausstellung wie begleitender Katalog, in dem verschiedene
Autoren die skizzierten Themen ausführlich besprechen, einem hoch
bedeutenden Kunstwerk gewidmet, das sowohl wegen seiner
außergewöhnlichen künstlerischen Qualität als auch wegen seiner
Stellung im Spannungsfeld von Tradition und neuer Weltsicht sowie von
Kunst und Naturwissenschaft noch heute als „ganz unvergleichlich“ vor
Augen steht.
Der Ausstellungskatalog wird mehrere Aufsätze von kunsthistorischer und
naturwissenschaftlicher Seite sowie einen ausführlichen, erläuternden
Katalogteil enthalten. Autoren: Wolfgang Augustyn (Zentralinstitut für
Kunstgeschichte, München), Gerhart Hartl und Christian Sicka (Deutsches
Museum, Abteilung Astronomie, München), Veronika Poll-Frommel
(Doerner-Institut, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München),
Reinhold Baumstark (Generaldirektor Bayerische Staatsgemäldesammlungen,
München), Marcus Dekiert (Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München).
Kurator der Ausstellung: Marcus Dekiert
Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Alte Pinakothek
Barer Straße 29
D-80799 München
Tel: ++49/89 23805-253
www.pinakothek.de
Artikel von: haidhausen.org
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